Markus Gisdol ist also neuer FC-Trainer – und man wird das Gefühl nicht los, dass er diesen Job eher bekommen hat, weil er zufällig gerade arbeitslos war und nicht, weil er der beste Mann für den Job ist. Aber trotzdem finden sich ja manchmal Dinge auf glücklichen (Um-)Wegen zusammen, die zusammen gehören oder zumindest zusammen passen könnten. Ist das bei Gisdol und dem ruhm- und glorreichen Effzeh wohl auch so? Ich möchte einen Blick auf seine taktische Arbeit beim HSV werfen, um daraus Schlussfolgerungen zu ziehen, ob seine Idee von Fußball zum Kader der Kölner passen könnte. Ich blicke deshalb auf den HSV und nicht nach Hoffenheim, weil die Zeit dort a) schon sehr lange vorbei ist und b) der damalige HSV eher mit der Kaderqualität des FCs vergleichbar ist als jene der TSG. Es geht mir dabei rein um taktische Überlegungen – ob er in Sachen Menschenführung oder Teambuilding, Ansprache oder Motivation gut ist, soll nicht Gegensatnd dieses Artikels sein.
Das meiste habe ich schon in der aktuellen Folge des Podcasts referiert, aber in schriftlicher Form ist es vermutlich leichter, sich dies vorzustellen.
Was von Gisdols taktischem Ansatz passt zum FC?
In seinen ersten Trainingseinheiten ließ Gisdol ein recht klares 4-2-3-1 spielen. Ein System, das jedem Profifußballer geläufig sein muss und das er im Schlaf zu beherrschen hat. Auch wenn der FC in dieser und der letzten Saison öfter (unter Anfang) 3-5-2 oder (unter Beierlorzer) 4-4-2 gespielt hat, bewiesen sie doch unter Pawlak und dann auch Beierlorzer selbst (z.B. gegen Schalke), dass sie jederzeit in dieses Standardsystem zurückwechseln können. Es hat auch den Vorteil, dass 10er Schaub eben auf der 10 spielen kann, mit Terodde, Cordoba und Modeste hat man gleich drei Stürmer, die theoretisch die alleinige Spitze geben könnten, auch wenn zumindest der Kolumbianer auf anderen Positionen stärker ist und der Franzose seine beste Zeit als Teil einer Doppelspitze – meist mit dem quirligen Osako an seiner Seite – hatte.
Interessant wird die Rolle der Außenverteidiger, denn diese spielen in Gisdols 4-2-3-1 eine andere Rolle als in der gewöhnlichen Interpretation dieses Systems. Während die meisten Bundesliga-Trainer ihre AVs anweisen, Breite zu geben, nach vorne zu arbeiten, die Seite „zu beackern“ und ggf. den Außenspieler zu hinterlaufen, sollen sie bei Gisdol primär eng an den Innenverteidigern stehen, keinesfalls Breite geben, sondern Kompaktheit. Das „Beackern“ der Seite ist nicht ihre Primäraufgabe, sondern das Absichern der Innenverteidiger, die so einen weiteren Nebenmann gegen die gegnerischen Stürmer haben.
Schaut man auf den Kader des FCs, stellt man fest, dass diese Rollenbeschreibung nicht zu Ehizibues Stärken passt. Er würde seiner größten Waffe, der Schnelligkeit, beraubt. Daher verwundert es nicht, dass hier im ersten Training Benno Schmitz spielte. Dessen fehlende Dynamik und Schnelligkeit kommt hier weniger negativ zum Tragen als in einer breiten Viererkette, seine guten, öffnenden Pässe könnte er hier auch eher einbringen, da er näher am Zentrum ist, und somit Czichos im Spielaufbau entlasten. Ob Schmitz‘ Defensivqualitäten gegen seine ehemaligen Kollegen von RB reichen, sei dahingestellt. Langfristig könnte man sich den derzeit verletzten Meré in dieser Rolle vorstellen, auch Jakobs könnte als beidfüßiger AV auf beiden Seiten spielen. Links dürfte Hector wieder in die Viererkette rutschen, er kann defensiv praktisch alles spielen, allerdings beraubt ihn dieses System schon seiner Fähigkeiten im Achter-/Zehnerraum.
Auch heißt das System nicht zwangsläufig einen Bankplatz für Easy und die Youngster Ismail Jakobs bzw. Noah Katterbach, wenn dieser wieder genesen ist. Im ersten Training wurden beide, Easy und Ismail, als Außenspieler in der offensiven Dreierreihe eingesetzt – erneut etwas, was ihren Stärken entgegen kommt. Denn die Außenspieler unter Gisdol müssen einerseits in der Lage sein, schnell mit nach hinten zu kommen, um die Seite dicht zu kriegen – beide sind mit die schnellsten Spieler im Kader. Gleichzeitig sollen sie nicht über außen nach vorne stoßen und dann nach innen flanken auf einen Stürmer, der dann allein gegen zwei IVs stünde, sondern sie sollen diagonal nach innen ziehen – quasi zwischen gegnerischem IV und AV – und die Bälle mitunter wild, hart und diagonal in den Strafraum passen, wo ein Abschlussspieler diese möglichst flachen Hereingaben verwerten soll. Vor allem mit Terodde aber auch mit Modeste in Topform hat man Spieler mit diesen Abnehmerqualitäten. Interessant könnte es auch sein, Jhon Cordoba in dieser Hybridrolle als linken Außenspieler zu probieren und ihn etwas von der Last, ein Goalgetter sein zu müssen, befreien – dazu unten mehr. Auch Dominick Drexler scheint für diese Hybridrolle des nach innen ziehenden Außen prädestiniert, ist aber natürlich nicht so schnell wie Easy.
In Hamburg hat Gisdol auch oft seine beiden Außenspieler der offensiven Dreierreihe invers spielen lassen, d.h. mit dem starken Fuß nach innen. Es ist daher durchaus denkbar, dass im derzeitigen Geheimtraining der Rechtsfuß Easy auf links spielen durfte (erster Backup könnte Kainz sein) und Jakobs auf rechts, aber auch dass dort Linksfuß Schaub auflaufen wird, um es z.B. Hector zu ermöglichen, doch im Mittelfeld spielen zu können. Gisdol hat dies auch öfters im Spiel umgestellt, um den Gegner zu verwirren, auch dies ist also ein denkbarer Move im Spiel. Hoffen wir, dass keiner von RaBa hier mitliest – falls doch: blecherne Grüße!
Was von Gisdols taktischem Ansatz passt NICHT zum FC?
Gisdols System definiert sich primär nicht über die Rolle der Außenbahnspieler, offensiv wie defensiv, sondern über einen Faktor: Das Chaos. Die ganze Spielanlage ist darauf angelegt, den Gegner unter ständigen Handlungsdruck zu setzen und ihn zu Fehlpässen zu zwingen, die dann durch Umschaltmomente der schnellen offensiven Außen genutzt werden sollen. An guten Tagen erreichen Gisdol-Mannschaft, dass die Passquote des Gegners um 6% sinkt.
Das setzt eine Kölner Mannschaft voraus, die jederzeit fähig und willens ist, hohe Laufbereitschaft zu demonstrieren und das System voll mitträgt. Spieler, die den Gegner hart und schnell anlaufen können, haben wir theoretisch durchaus im Kader: Hier würde Cordoba in der oben beschriebenen Hybridrolle des Außenspielers interessant werden, da er jedem Gegner körperlich auch nach 90 Minuten noch gut zusetzen kann. Auch Easy und vor allem Terodde können ihre Gegner richtig nerven, so dass der Druck situativ hergestellt werden könnte. Allerdings fällt ein Louis Schaub nicht gerade als erfolgreicher und laufstarker Balleroberer auf (auch wenn er sich hier verbessert hat und langsam austrainierter wirkt) und ihm als Zehner käme eine Schlüsselposition zu.
Interessant für diese Rolle wäre daher sicherlich auch (jaja, ich weiß) Vincent Koziello, der sich stark über seinen Willen zu Balleroberung definiert, aber natürlich körperlich unterlegen ist. Aber er kommt dem Spielertypen näher, auf den Gisdol auf dieser Position setzt: Giftig, laufstark und mit guten Nadelpässen. Nicht zufällig hatte Lewis Holtby seine stärkste Phase beim HSV unter Gisdol. Leider ist unser kleiner Franzose allerdings gerade verletzt.
Die Krux aber liegt sowieso nicht im mikrotaktischen Bereich, sondern ganz schlicht im Makrotaktischen – und zwar in zweierlei:
1) Unsere Mannschaft kann oder will kein Pressing über die Mehrheit der Spielzeit aufziehen. Ob das an fehlender körperlicher Fitness oder mangelndem Willen liegt, vermag ich nicht zu sagen, aber Fakt ist, dass wir hier noch nie ein Spiel gesehen haben, in dem das Pressing (für das ja auch Beierlorzer auf dem Papier stand) länger als 45 Minuten funktioniert hätte. Sinnbildlich ist das Spiel gegen Hoffenheim, das Beierlorzer letztlich den Job kostete: Auf wunderbar griffige erste 45 Minuten folgte eine zweite Halbzeit, in der der Stecker gezogen war. Meisten resultieren Rückschläge auf dem Platz, z.B. Gegentore, in völligem Einstellen des Pressings. Mehr als einmal musste Beierorzer zudem die fehlende Laufbereitschaft anmahnen, ehe es etwas besser wurde. Man fragt sich, ob die Wurzel dieser Passivität noch in Stögers Zeit liegt, als man für den Erfolg andere Tugenden brauchte, als mehr zu laufen als der Gegner.
2) Die Mannschaft kann nicht umschalten – 0 Kontertore an den ersten 10 Spieltagen sprechen da Bände. Denn mehr als einmal hätten einzelne Spieler die Chance gehabt, durch einen cleveren Ball einen Konter einzuleiten. Aber hier fehlt es vielen Spielern an Spielintelligenz und dem Auge für freie Räume/Mitspieler. Gerade Kainz, Schindler und Ehizibue haben den Kader unter diesem Aspekt nicht wesentlich verstärkt, sondern fallen eher durch mangelhafte Entschediungsfindung auf. Spieler mit diesem Auge sind Schaub und Drexler (sowie, eine Etage weiter hinten, Hector und Verstrate), sie wird man irgendwie zusammen auf den Platz kriegen müssen, wenn man sich primär über das Umschalten definieren möchte, womit man allerdings wieder Schnelligkeit opfert, die man zum Umschalten benötigt.
Unter diesen Umständen verwundert die Verpflichtung Gisdols durchaus. Fakt ist, dass die Mannschaft gerade einem Trainer mit intensivem Pressingansatz die Gefolgschaft verweigert hat – nun holt man also einen Trainer, der sich über seinen intensiven Pressingansatz definiert. Verstehen muss man das aus taktischer Sicht nicht – auch wenn natürlich für Gisdol spricht, dass er selbst den HSV ans Laufen gekriegt hat.
TL;DR
– Die Rolle der AVs und der offensiven Außen passt ziemlich gut zum vorhandenen Spielermaterial und könnte gut deren Stärken zum Vorschein bringen während ihre Schwächen kaschiert würden.
– Die Mannschaft muss das Pressing und die Laufbereitschaft voll annehmen, um das System Gisdol zu verwirklichen, das hat sie in der Vergangenheit sehr selten getan – weil sie nicht will oder nicht kann.
Mögliche Aufstellung:
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